Titelbild: Abbildung der Stadt: freepik – www.freepik.com
Im ersten Artikel über die Digitalisierung der Stadt in Zeiten von COVID-19 wurden kommunales Krisenmanagement und die Digitalisierung von Institutionsangeboten als zwei zentrale Bereiche der pandemiebedingten Digitalisierung von Städten vorgestellt. Im zweiten Teil gilt es nun einen genaueren Blick darauf zu werfen, wie digitale Technologien für die Zusammenführung von Angebot und Nachfrage sowie für die sich verändernde Arbeitsweise in der Kommunalverwaltung und -politik, zum Einsatz kommen.
3. Zusammenführung von Angebot und Nachfrage
Die Arbeits- und Lebensweisen haben sich pandemiebedingt gewandelt und befinden sich weiterhin in einem hochgradig transformativen Zustand, was zu einer Verschiebung von Angebot und Nachfrage im wirtschaftlichen Alltag führt. Diese Verschiebungen erfordern neue Strategien und Plattformen, um das ‘Match-Making’ für Ressourcen wie Humankapital, Güter und Dienstleistungen im Hinblick auf die neue gesellschaftliche Situation, organisieren zu können.
3.1 Lokalwirtschaft vernetzen
Für den schwer betroffenen Wirtschaftszweig der Gastronomie und des lokalen Einzelhandels lassen sich bundesweit vermehrt mehrere Formen digitaler Hilfestellungen beobachten. Für den lokalen Einzelhandel kristallisiert sich zunehmend eine Form digitaler Hilfestellungen heraus, die auf eine Digitalisierung von lokalen Einzelhandelsangeboten, einer Art Digitalisierung von Schaufenstern wie es die Stadt Velbert beschreibt, abzielt. In Darmstadt wurde das ‘Digitale Schaufenster‘ als ohnehin geplantes Digitalisierungsprojekt, im Zuge der Pandemiesituation zeitlich priorisiert. In Kaiserslautern hat das Citymanagement für lokale Gewerbetreibende eine Schnittstelle geschaffen, um ihnen die Aktualisierung und Mitteilung ihrer Öffnungszeiten zu erleichtern.
Weiterhin haben viele Wirtschaftsförderungen aufgrund der umfangreichen Kontaktbeschränkungen Gutscheinplattformen organisiert, wie es beispielsweise der Pforzheimer Eigenbetrieb Wirtschaft i. Z. m. dem Pforzheimer Stadtmarketing aufsetzte (‘Handeln für Pforzheim‘), um Kunden:innen den Kauf von drei Jahre gültigen Gutscheinen zu ermöglichen. In Ahaus setzt ein digitales Stadtquiz bereits seit Längerem lokale Einkaufsimpulse und führt dabei zur Belebung der Innenstadt, insbesondere wenn sich der Einlösezeitraum auf ca. drei Tage begrenzt. In all diesen Fällen organisiert die Wirtschaftsförderung bzw. das Stadtmarketing als Intermediär zwischen Konsumenten und lokalen Wirtschaftssubjekten, einen Anreiz für zeitlich versetzten Konsum, dessen Finanzspritzen sofort helfen sollen.
Die Vernetzung von ausbildungswilligen Betrieben und Organisationen mit ihren Nachwuchskräften überträgt sich in diesen Zeiten ebenfalls in den digitalen Raum. Die Stadt Weil am Rhein hat bspw. eine digitale Ausbildungsbörse ins Leben gerufen.
Eine weitere Form der Unterstützung äußert sich in der Hilfe zur digitalen Selbsthilfe: betroffenen Unternehmer:innen werden die Werkzeuge an die Hand geben, mit deren Hilfe sie digitale Vertriebskanäle für sich nutzen können. Im Zuge der Pandemie haben sich Handwerker, Einzelhändler und Dienstleister dem Thema gegenüber geöffnet, wie bspw. die Initiatoren der Schulungsinitiative meinestadt.digital im bayrischen Unterfranken berichten.
Ähnliche Enablement-Strategien werden von unterschiedlichsten Akteuren vorangetrieben, so auch das Digitalisierungsprogramm des Deutschen Handelsverbandes in Zusammenarbeit mit Google (siehe Abb. 2). Ebenso schafft ‘lokabees’, hervorgegangen aus dem WirVsVirus-Programm der Bundesregierung, eine niedrigschwellige Möglichkeit zur digitalen Sichtbarkeitssteigerung lokaler Geschäfte. Über 3000 Händler:innen haben sich zu dem Netzwerk ‘Händler helfen Händlern‘ zusammengeschlossen, um sich gegenseitig mit Best-Practices in zu unterstützen, die Hintergrundgeschichte zum Netzwerk ist hier veröffentlicht.
3.2 Soziales Engagement koordinieren
Neben den zuvor angesprochenen wirtschaftsförderdenden Plattformen, öffnen einige Plattformen ihre Aktionsradien für soziales Engagement. Im baden-württembergischen Öhringen wurde die Onlineplattform ‘Öhringen gemeinsam‘ ins Leben gerufen, die sich durch ihren ganzheitlichen Ansatz auszeichnet. Sie führt Angebot und Nachfrage für soziales Engagement, regionale Wirtschaftshilfen, Freizeitgestaltung und die Schutzmitteldistribution zusammen. Einen ähnlich ganzheitlichen Ansatz verfolgen die Städte Haßfurt mit der Initiative ‘Haßfurt bringt´s‘ und Dortmund mit der Initiative ‘#wirstehenhinterdir’ zur Unterstützung der Lokalwirtschaft.
Während die Coronakrise auf der einen Seite einen Digitalisierungsschub für Institutionen und Unternehmen auslöst, birgt sie auf der anderen Seite die Gefahr, auch die Digital Divide in der Gesellschaft zu verschärfen. In Leipzig wirkt die Initiative ‘Hardware for Future‘ dieser Gefahr entgegen, in dem sie Angebot und Nachfrage von digitalen Geräten in der Stadtgesellschaft koordiniert und an Bedürftige vermittelt. In Göttingen übernimmt die Stadt einen Teil der Kosten, die für Familien infolge des Distanzunterrichts entstehen.
In Gütersloh wurde die App ‘VoluMap‘, die vor einigen Jahren im Zuge des Hochwasserschutzes initiiert wurde, nun in einer aktualisierten Version ins Leben gerufen. Ziel der App ist es, spontanes Engagement zwischen Bürger:innen und Institutionen zu koordinieren. Um das zivilgesellschaftliche Leben in Kaiserslautern aufrechtzuerhalten und zu fördern, wird das Vereinsleben mit Hilfe des Projekts ‘BigBlueButton für Vereine‘ mittels frei nutzbarer Videoinfrastruktur, unterstützt. Ganz in diesem Sinne hat auch die Berliner Technologiestiftung den Digitalisierungsstand der Berliner Vereine in einer Studie untersucht und darauf aufbauend das Webprojekt ‘Digital Vereint‘ gestartet. Auf dieser Seite werden Best-Practises, Tools und weitere Informationen bereitgestellt, um die Digitalisierung der Zivilgesellschaft zu forcieren.
Forschung zum Einsatz digitaler Technologien für soziales Engagement
Im Verbundprojekt ‘INSELpro‘ (2018-2021) untersucht das Fraunhofer IIS mit weiteren Partnern, wie ehrenamtliche Nachbarschaftshilfe in urbanen Räumen initiiert und mittels einer eigens für diese Zwecke entwickelten App, organisiert werden können. Als Reallabor dient dafür der Stadtteil Nürnberg-Mögeldorf.
Das Entgegenwirken der digitalen Spaltung äußert sich darüber hinaus in Initiativen, die sich der verstärkten Vermittlung von Medienkompetenzen in der Stadtgesellschaft, verpflichtet haben. So haben bspw. das Deutsche Rote Kreuz und Quartiersmanager:innen von der Stadt Winterberg ältere Mitbürger:innen zu kostenlosen Digitalisierungskursen eingeladen. In Kaiserslautern wurden ebenfalls Angebote zur Steigerung der Medienkompetenz initiiert und in Dortmund richtet sich die Initiative KITZ.do explizit an sozial benachteiligte Schüler:innen.
3.3 Weitere Beispiele für die Zusammenführung von Angebot und Nachfrage
- Handelsplattform ‘Hasentaler‘ (in Anlehnung an die Geschichte der 3 Paderborner Hasen), ähnliche Plattformen des sächsischen Energieversorgers eins energie sachsen, das digitale Schaufenster ‘Koblenz bringt’s‘, die Ulmer App ‘Neighborshopz‘
- ‘Kiez-Retter’ ist eine überregionale Plattform, die eine Vermittlung von Gutscheinen an registrierte Läden ermöglicht, entwickelt wurde sie im Zuge des WirVsVirus-Programms der Bundesregieung, u.a. mit Unterstützung von Google, Amazon und PayPal
- KI-gestützter Sprachbot unterstützt die Stadt Stuttgart bei der Beantwortung von telefonischen Anfragen zur aktuellen Pandemie-Lage.
- Im Sommer 2020 haben in Marburg im Zuge der Stadt-Geld Aktion Jugendliche Gutscheine im Wert von 50 € und Erwachsene Gutscheine im Wert von 20 € erhalten, um mit ihren Einkäufen die Innenstadt zu beleben und lokale Gewerbe zu unterstützen.
- Das in Ahaus ansässige Unternehmen Tobit.Software hat für die Stadt Geldern einen digitalen Stadtgutschein implementiert, bei dem Einkäufe mit einem 15 %-igen Anteil subventioniert wurden. Insgesamt lag die vom Stadtrat beschlossene Fördersumme bei 150.000 €.
4. Arbeitsweise von Kommunalverwaltung & -politik
Unabhängig von den enormen Arbeitsaufwänden und Veränderungen, die COVID-19 den gesundheitsbezogenen öffentlichen Stellen abverlangt, durchlaufen die Kommunalverwaltung und -politik im Allgemeinen umfangreiche Transformationsprozesse in ihrer Arbeitsweise. An dieser Stelle seien diesbezüglich insbesondere jene Projekte und Entwicklungen skizziert, die im Zusammenhang mit digitalen Technologien stehen.
4.1 Veränderte Arbeitsplatzbedingungen
Infolge der Kontaktbeschränkungen müssen neben privatwirtschaftlichen Akteuren auch öffentliche Arbeitgeber eine umfangreiche Verlagerung von Arbeitsplätzen organisieren. Bereits im August letzten Jahres berichtete Thomas Bönig, CDO der Landeshauptstadt München und Leiter des IT-Referates, von einer zahlenmäßig hohen Verlagerung ins Home Office, die nicht nur vorübergehend angedacht war.
Dass der erste Lockdown im Frühjahr 2020 extrem spontan zu organisierende mobile Arbeitsverhältnissen erforderte, ist verständlich. So erledigte damals bspw. der Bürgermeister einer mecklenburgischen Kleinstadt seine Amtsgeschäfte vom südafrikanischem Kapstadt aus. Mit dem Bleiben der Pandemie erwächst jedoch die Notwendigkeit, die mobilen Arbeitsverhältnisse nachhaltig zu organisieren. Grund hierfür sind insbesondere die steigende Anzahl an Cyberangriffe auf öffentliche Stellen wie zwei Sicherheitsexperten in einem Interview berichten. Diesen Umstand bestätigt auch eine Umfrage unter IT-Führungsstellen, die das Unternehmen Pure Storage durchführte. Diese ergab außerdem, dass eine Notwendigkeit nach einer Modernisierung der IT-Infrastruktur sowie eine Hinwendung zu agilen Arbeitsweisen, besteht. Mehrere Bundesländer, u.a. Baden Württemberg, passen ihre Gemeindeordnungen an, so dass digitale Gemeinderatsitzungen beschlussfähig sind.
4.2 Kommunikation mit Stadtgesellschaft
Die Digitalisierung von Kommunikationswegen kennzeichnet sich in diesen Zeiten durch einen Facettenreichtum. Die Bandbreite reicht von Onlinebeantragungsverfahren für Corona-Soforthilfen (Stadt München, Land NRW) und Onlineterminvergaben zwecks Steuerung von Besucherströmen in Rathäusern (Krefeld, Düsseldorf) über Chatbots (‘Corina‘ im Landkreis Ludwigsburg, ‘Corey’ in Baden-Württemberg, ‘Symptoma‘ in Wien) bis hin zur Vermittlung von aktuellen Informationen über Apps (Städte Wuppertal, Solingen), soziale Medien (Stadt Bramsche) und digitale Bildschirme im Außenbereich (Stadt Geldern). Vor mehreren Rahäusern werden zudem Bürgerservice-Terminals aufgestellt, um amtliche Dokumente kontaktlos und unabhängig von Öffnungszeiten abholen zu lassen.
In der Solingen-App gibt es einen Menübereich, der sich explizit der Informationsvermittlung zu COVID-19-relevanten Themen widmet.
4.3 Digitalisierung der hoheitlich gesteuerten Raumentwicklung
Die Stadt ist stets ein Abdruck der Gesellschaft und deshalb findet die sich verändernde gesellschaftliche Realität mittelfristig ihren Niederschlag auch in der stadträumlichen Dimension. Die zum Infektionsschutz auferlegten Kontakt- und Betriebsbeschränkungen resultieren vielerorts in eine erhöhte Leerstandsquote. Um diese städtebaulichen Auswirkungen zu erfassen und damit Entscheidungsgrundlagen für eine zukunftsorientierte Stadtentwicklungspolitik zu schaffen, ist ein digitales Leerstandsmanagement unabdingbar meint Michael Reink, Bereichsleiter Standort/Verkehrspolitik vom Handelsverband Deutschland im Interview.
Im Einzelnen lassen sich in Ergänzung zum digitalen Leerstandsmanagement auch andere digital gestützte Tools aufzählen, die sich für die Gestaltung von attraktiven Stadträumen als hilfreich erweisen. Zu solchen Tools zählen auch Messsysteme von Besucherströmen, die Stadtgestalter:innen Auskunft über die Attraktivität von öffentlichen Räumen und ihren umliegenden Nutzungen, geben. Falls Sie Interesse an weiteren Tools haben, können Sie sich im Best-Practice-Netzwerk ‘Stadtretter’ über solche informieren.
Was die Bauleitplanung anbelangt, so finden die ehemals schwerpunktmäßig analog durchgeführte Öffentlichkeitsbeteiligung nun zwangsläufig zu großen Teilen digital statt. Bundesweit rufen Städte wie Hildesheim, Duisburg, Dortmund, Kamp-Lintfort München, Frankfurt und Lindau zu digitalen Beteiligungsformaten für die Entwicklung von Planungsgebieten, auf.