In der zweiten Ausgabe unserer Austauschrunde haben wir uns mit Vertreter:innen aus Kommunen, Wirtschaft und Wissenschaft über XPlanung, die Anwendung von digitalen Tools für die Beteiligung im Rahmen von Stadtplanungsprojekten sowie die Potenziale von interaktiven Kartenanwendungen ausgetauscht.
1. Potenziale der digitalen
Stadtplanung und Beteiligung
Zu Beginn der Vorstellungsrunde haben sich alle Teilnehmer:innen vorgestellt und in Eingangsstatements beantwortet, welche Potenziale sie beim Einsatz digitaler Technologien in der Stadtplanung und Beteiligung sehen. Zum einen führt die Digitalisierung zu einer erhöhten Datenverfügbarkeit über das Planobjekt Stadt und birgt damit das Potenzial für versachlichte Planungsdiskussionen mit „mehr Fakten und weniger Gefühlen“. In diesem Sinne lassen sich bestehende Abläufe wie bspw. die Sammlung und Auswertung von abzuwägenden Belangen durch digitale Beteiligung oder auch die Ermittlung von sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen im Plangebiet mittels der Geodatenanalyse, deutlich effizienter gestalten.
Häufig erwähnt wurde zudem die verbesserte Visualisierung von städtebaulichen Planungsalternativen und raumbezogenen Informationen im Allgemeinen. Diese ausdifferenzierten Visualisierungsmöglichkeiten sind im besten Fall Bestandteil eines ganzheitlichen Konzeptes. Ein solches Konzept sollte neben der Zielgruppenrelevanz insbesondere die Fragen behandeln, welche Akteure im Planungsprozess zu welchem Zeitpunkt, mit welchem Zweck welche digitalen Tools anzuwenden haben. Geht es um die Sammlung von Ideen für mögliche Flächennutzungen, um die Priorisierung von städtebaulichen Gestaltungsalternativen, oder gar um die Vermittlung von fachplanerischen Inhalten? Nur mit Hilfe eines zweck- und zielgruppenorientierten Konzeptes kann gewährleistet werden, dass die Befragungstools, Virtual/Augmented Reality-Anwendungen, Dashboards, interaktiven Planungstische etc. sich mit dem Paradigma Turn Data Into Action vereinen lassen.
Weiterhin erlauben die mit der Digitalisierung einhergehenden Simulationsmöglichkeiten eine elaboriertere Umsetzung planungstheoretischer Ansätze wie der agentenbasierten Modellierung und der kommunikativen Planung bei städtischen Entscheidungsprozessen, um Diskussionsverläufe und -grundlagen herauszuarbeiten. Ebenso können digitale Beteiligungstools die Idee der koproduktiven Stadt zum neuen Leben erwecken und damit informelles Engagement der Stadtgesellschaft fördern.
2. Vorgestellte Tools und Projekte
Jakob Kopec – Smart City Duisburg goes XPlanung
XPlanung ist – vereinfacht ausgedrückt – das MP3-Format für Bauleitpläne, das bedeutet es ist ein Austauschformat für digitalisierte Bauleitpläne. Bei dem zu Grunde liegenden Dateiformat XPlanGML handelt es sich um ein von der XLeitstelle koordiniertes Datenaustauschformat. Seine rechtliche Verankerung erhielt es vom IT-Planungsrat in seiner Sitzung im Jahr 2017, die der Standardisierung vom Austausch im Bau- und Planungsbereich diente.
Nach diesen anfänglichen Erläuterungen stellte Jakob Kopec vor, wie die Spacedatists GmbH die Stadt Duisburg bei der Digitalisierung von 33 ihrer Bebauungspläne unterstützt hat. Alle im Rahmen des 12-monatigen Projekts digitalisierten XPläne sind im Open-Data-Portal der Stadt Duisburg abrufbar. Bemerkenswert sind dabei unter anderem die Erkenntnisse, die im Rahmen des Projektes mit Bezug auf den Arbeitsaufwand, generiert wurden.
Von dem gesamten Arbeitsaufwand, der für die Realisierung von XPlänen notwendig war, sind ca. 70% der Kommunikation bzw. Abstimmung zwischen Spacedatists, Kommune / IT-Dienstleister / X-Leitstelle zuzuordnen. Diese schloss unter anderem die Aktualisierung von Codelisten und Identifikation von Anforderungen ein. Je kleinteiliger der analoge Bebauungsplan mit seinen Festsetzungen ist, desto länger dauert die Überführung des Bebauungsplans in einen XPlan. Die Einpflegung der textlichen Festsetzungen nahm ca. 30 % der gesamten Arbeitszeit in Anspruch. Die detaillierte Zuordnung der textlichen Festsetzungen zu ihren entsprechenden visuellen Planinhalten erfordert im Hintergrund zahlreiche Objektzuordnungen, Korrekturen und Formatierungsschritte. Wenn dem gegenüber die textlichen Festsetzungen als externe Dokument nur dem Geltungsbereich zugeordnet werden, kann demnach die Arbeitszeit erheblich reduziert werden.
Die Digitalisierung von Bauleitplänen aufgrund von rechtlichen Umsetzungspflichten stellt einen mittelbaren Zweck dar, denn die eigentlichen Mehrwerte ergeben sich für die amtliche Stadtplanung erst im Nachhinein. So steigert sich in etwa die Effizienz bei der Suche nach Gewerbestandorten, wenn planungsrechtlich erschlossene Flächen fortan digital durchsucht werden können.
Marco Köster – Online-Bürgerbeteiligung in der Stadtplanung
Wie digitale Beteiligung in Zeiten der COVID-19-Pandemie in einer Kommune organisiert wurde, hat Marco Köster vom Fachbereich Stadtplanung und Stadtentwicklung der Stadt Hildesheim erläutert. In seinem Vortrag ging er auf Planungsprojekte mit unterschiedlichem Umfang ein und stellte dabei die Erfahrungen mit den jeweils angewandten Beteiligungstools heraus.
- Sanierung Wegeverbindung: Im Rahmen einer städtebaulichen Sanierung sollte bei diesem Projekt ein Angstraum zu einem Spielraum mit Aufenthaltsqualität umgebaut werden. Nach einer bau- und planungsrechtlichen Prüfung der realisierbaren Spiel- und Bewegungsgeräte, wurden den Bürger:innen über QR-Codes die wählbaren Optionen angeboten. Technisch wurde diese direkte und konzentrierte Beteiligung über ein Online-Umfrage-Tool Easy Feedback realisiert und war damit Software-technisch kostengünstig. Wenngleich die Vorbereitung aufwändig war, fand das Beteiligungsangebot breiten Anklang und resultierte v.a. auch in eindeutig auswertbare Ergebnisse (statistische Auswertung).
- Umgestaltung einer Schulhoffläche zur Multifunktionsfläche: Für die Sanierung weiter Teile der Wallanlagen hat die Stadt Hildesheim aufgrund der gelockerten Kontaktbeschränkungen ein hybrides Beteiligungsmodell realisieren können. Dabei wurde die digitale Pinnwand mit analogen Mitteln wie Postkarten, Presse, Plakaten vor Ort ergänzt, was zwar die Ausgaben deutlich erhöhte, aber letztlich auch zu einer transparenteren Diskussionskultur zwischen den Teilnehmer:innen führte.
- Sanierung von Wallanlagen: Bei dieser thematisch breit angelegten Quartiersbeteiligung galt es zunächst allgemeine Wünsche und Vorstellungen für die offen zugängliche Multifunktionsfläche zu sammeln und anschließend zu bewerten. Technisch umgesetzt wurde dieser Beteiligungsprozess über die digitale Pinnwand Padlet, auf welcher Ideen thematisch strukturiert gesammelt und anschließend mit Hilfe der Kommentar- und Bewertungsfunktionen in ihrer Relevanz sortiert werden konnten. Die Auswertung war zeitaufwändig. Positiv war die rege und vielfältige Beteiligung, während sich als Herausforderung die fehlende direkte Moderationsmöglichkeit des Tools entpuppt hat. Außerdem war diese Form der digitalen Beteiligung anonymisiert, so dass die erhaltenen Ideen nicht mit den Teilnehmer:innen kontextualisiert werden konnten.
- Lärmaktionsplanung: Für die Aufstellung des stadtweiten Lärmaktionsplanes war eine breite Beteiligung notwendig, um genügend Feedback zur aktuellen (wahrgenommenen) Lärmsituation zu erhalten. Die Ergebnisse waren sehr gut, denn es haben sich Bürger:innen über alle Altersgruppen hinweg beteiligt und der Rücklauf an Vorschlägen war zahlenmäßig hoch. Gelungen ist dies wieder über ein hybrides Beteiligungsmodell, wobei für die eigentliche Durchführung und Moderation des Beteiligungsprozesses ein Planungsbüro engagiert wurde. Dieses nutzte wiederum für die technische Umsetzung das Umfrage- und Marktforschungs-Tool SurveyMonkey.
Die pandemiebedingte Digitalisierung von Beteiligungsprozessen führte sicherlich zu einem Paradigmenwechsel in der kommunalen Planungspraxis hinsichtlich dessen, was nun alles möglich ist. Gleichzeitig bleiben für eine nachhaltige Digitalisierung noch einige zu klärende Fragen offen: Wie lässt sich die Barrierefreiheit und der Datenschutz des Beteiligungsprozesses sicherstellen? Wer haftet für die Inhalte, die im Rahmen des Beteiligungsprozesses von allen Stakeholdern gepostet werden? Wie können die Kommunen ihre technischen Fähigkeiten flächendeckend ausbauen oder soll diese Kompetenz über Dienstleister / Planungsbüros im Beteiligungsprozess organisiert werden?
Marco Köster resümierte mit der Botschaft, dass die Zukunft der stadtplanungsbezogenen Beteiligung sich hybrid aufstellen wird. Auf diese Weise können die Vorteile sowohl der analogen als auch der digitalen Beteiligung zum Tragen kommen.

Jens Wille – Wie Karten und Daten neue Einsichten
in der Stadtplanung ermöglichen
Im Jahr 2016 konstatierte der Think Tank McKinsey Global Institute, dass die weltweit generierte Datenmenge sich alle drei Jahre verdoppelt und läutete das Zeitalter des Big Data Analytics ein. Ubilabs fügt sich in diese Entwicklung als ein Beratungs- und Softwareunternehmen ein, das raumbezogene Daten veredelt. Es bietet ein integriertes Portfolio aus Beratung, Produkt- und Software-Entwicklung, Visualisierung, Umsetzung sowie Datenmanagement an, um stadtrelevante Daten für private und öffentliche Stakeholder kartografisch aufzubereiten und inhaltlich auszuwerten.
In seinem Input hat Jens Wille anhand von umgesetzten Projekten gezeigt, wie die Stadtplanung von interaktiven Kartenanwendungen und den dahinter liegenden Möglichkeiten zur Datenanalyse und -auswertung bei ihrer Entscheidungsfindung profitieren kann. Digitale Tools erlauben eine deutlich effizientere und übersichtlichere Aufbereitung raumbezogener Daten und bieten damit wertvolle Erkenntnisse über städtische Abläufe in den Bereichen Mobilität, Klima, Sicherheit und mehr.

Darüber hinaus erfordert die Entwicklung und Nutzung dieser Tools eine akteursübergreifende Zusammenarbeit bei der Bereitstellung von Datenbeständen, Herstellung der Datenkonformität bis hin zur Datenanalyse- und -auswertung. Im Umkehrschluss lassen sich darüber mittelfristig Entscheidungsabläufe und Governance-Strukturen in der Stadtentwicklung transparenter und umsetzungsorientierter gestalten.
Dabei ist eine solche Implementierung von digitalen Tools als gegenseitig hochschaukelnder Prozess zu verstehen. Entsprechend müssen die Impulse im besten Fall von mehreren Stakeholdern, das bedeutet der öffentlichen Hand, Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft sowie Wissenschaft kommen. Um dieses Momentum hin zu einer ganzheitlichen und evidenzbasierten Stadtplanung aufbauen zu können, bedarf es an umfassender Überzeugungsarbeit. Diese kann mit „einfachen“ Projekten unterstützt werden, deren Mehrwert schnell erkennbar ist (Low-Hanging Fruits) wie bspw. bei der nachfolgenden dynamischen Visualisierung von Mobilitätsdaten mit Fragestellungen, die sowohl für kurz- als auch für langfristige Entscheidungen in der Stadt- und Verkehrsplanung relevant sein können.
- The age of analytics: Competing in a data-driven world (McKinsey Global Institute, 2016)
- Webseite von Ubilabs
- Video-Playliste mit Projekten von Ubilabs
3. Fazit und nächster Termin
Ob es sich um die Digitalisierung von rechtlich verbindlichen Plandokumenten, das digitale Zusammentragen von Beteiligungsinformationen oder die Visualisierung und Zusammenführung von raumbezogenen Daten handelt – in allen drei Anwendungsfällen nehmen die digitalen Tools einen befähigenden Charakter ein. Entsprechend erfordert der sinnvolle Einsatz von digitalen Tools in der Stadtplanung, neben der technischen und stadtplanerischen Expertisen, stets auch prozessuale und Governance-orientierte Überlegungen.
“Die Fragestellungen zur Stadtentwicklung können nicht allein aus den Daten heraus beantwortet werden, aber Daten bieten die Chance, dass verschiedenste Stakeholder gemeinsam Erkenntnisse gewinnen.”
Jens Wille, Co-Founder Ubilabs GmbH
Die nächste Ausgabe dieser Austauschrunde findet am Freitag, dem 20. August 2021 von 10.00 bis 12.00 Uhr statt. Oliver Märker (zebralog) wird über die Geschichte der digitalen Bürgerbeteiligung in Deutschland sprechen, Simon Strohmenger (Mehr Demokratie) das Tool CONSUL vorstellen und Aura Moldovan (Leibniz-Institut für Länderkunde) über das Tool hin&weg berichten. Eine Anmeldemöglichkeit findet sich hier.
