Die strategische Auseinandersetzung mit Smart City-Initiativen bietet das Fundament für eine souveräne Digitalisierung von Städten. Zahlreiche Kommunen, Landkreise ebenso wie Fördermittelgeber setzen diese Erkenntnis in der Praxis bereits um, denn in den letzten vier Jahren wurden in Deutschland mehrere Dutzend Strategien verabschiedet. Ungeachtet ihrer immanenten Bedeutung ist der interkommunale Austausch über sie bisher schwach ausgeprägt.
In Anbetracht der Wichtigkeit dieses Themas wagen wir den Versuch, eine wiederkehrende Austauschrunde zu strategischen Überlegungen der kommunalen Digitalisierung aufzubauen. Bei der Auftaktveranstaltung im Juni 2021 haben wir uns über die ersten drei Klauseln ausgetauscht, die in (fast) jeder Smart City-Strategie stehen. Eine detaillierte Nachberichterstattung der letzten Veranstaltung finden Sie hier.
- § 1 Einfügung in bestehende Stadtentwicklung
- § 2 Stützung auf übergeordnete Strategiepapiere
- § 3 Aktualisierungszyklen der Smart City-Strategien
In dieser zweiten Runde haben wir uns mit Vertreter:innen der Städte Bamberg, Jena, Münster, der EDAG Group und der HafenCity Hamburg GmbH, über drei weitere Klauseln ausgetauscht, die in (fast) jeder deutschen Smart City/Region-Strategie stehen. Die wichtigsten Erkenntnisse dieses Treffens sind in diesem Artikel zusammengefasst.
§ 4 Beteiligung aller relevanten Akteure
„Für die Erstellung der Strategie haben wir alle relevanten Akteure aus Wissenschaft, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und dem Konzern Kommune beteiligt.“
Die Strategien erklären, dass sie im Zuge eines kooperativen Prozesses mit allen relevanten Stakeholdern der Stadtentwicklung erstellt wurden. Diese Vorgehensweise fügt sich in den allgemeineren Kontext einer sich wandelnden staatlichen Rolle ein, die mithin als „from Government to Governance“ bezeichnet wird. Seit den 1990er Jahren verringern sich in westlichen Gesellschaften, initiiert u.a. durch ökonomische Transformationsprozesse und die Deregulierung von Finanzmärkten, staatliche Top-Down Strukturen mit ihren umfassenden Regelungs- und Handlungsspielräumen.¹ In der Governance-getriebenen Stadtentwicklung fällt der öffentlichen Hand stattdessen zunehmend eine moderierende und befähigende Rolle zu. Sie erkennt und kommuniziert Bedarfe, bündelt Ressourcen und trägt Sorge für eine integrierte, nachhaltige und gemeinwohlorientierte Gesamtentwicklung.
„Die zunehmend komplexeren kommunalen Probleme lassen sich durch die klassischen Steuerungsmedien (Geld und Recht) kaum noch effektiv lösen. Nur in enger Kooperation mit den ‚Steuerungsadressaten‘ sind viele angestrebte Politikergebnisse noch erzielbar“ ²
Holtkamp 2007: 370
Vor diesem Hintergrund ist die Strategieerstellung in erster Linie ein Verständigungsprozess zwischen den stadtgestaltenden Stakeholdern. Gemeinsam einigen sie sich auf einen gemeinsamen Nenner für die Entwicklung ihrer Stadt und ihre eigenen Rollenverständnisse im digitalen Zeitalter. In unserer Austauschrunde kamen wir zum Schluss, dass hierfür eine sachliche und „wohlwollende“ Kommunikation der eigenen Bedarfe und Denklogiken wesentlich ist.
- Auf Stadtverwaltungen kommen eine Vielzahl an IT-Unternehmen mit ihren fertigen Lösungen zu, aber für die Kommunalpolitik/-verwaltung ist es relevanter, den Denkprozess der digitalen Stadtentwicklung mit den eigentlichen Herausforderungen zu beginnen.
- Insbesondere IT-Unternehmen denken in profitablen und skalierbaren Produkten und Dienstleistungen. Diese Handlungslogik könnte Kommunalverwaltungen / Stadtwerken dabei helfen, ihre Smart City-Projekte von Vornherein so zu gestalten, dass sie sich in mehreren Teilen der Stadt wirtschaftlich realisieren lassen.
- Die Kommunalpolitik mit ihren politischen Konstellationen und Entscheidungsabläufen gilt es insbesondere bei umfangreicheren Projekten einzubeziehen, denn ihre Zustimmung stellt die demokratische Legitimation von Smart City-Projekten sicher.
- Die Digitalisierung von Stadtverwaltungen erfordert eine differenzierte Betrachtung, denn ihr Aufgabenspektrum reicht von Tätigkeiten des reinen Gesetzesvollzugs bis hin zur Erbringung von Dienstleistungen, die spezifische Fachkenntnisse verlangen.
Diese und zahlreiche weitere Denk- und Handlungslogiken der einzelnen Akteure sind bei Weitem kein implizites Wissen und müssen deutlich konkreter herausgearbeitet und untereinander kommuniziert werden. Sicher ist dabei auch, dass die Lernprozesse immer in beide Richtungen gehen sollten. Es ist auch kein Geheimnis, dass solche von Konsens und Kommunikation geprägten Entscheidungs- und Lenkungsformen deutlich anstrengender sind als jene in Top-Down-Strukturen, aber schlussendlich sind sie der Vorbote für nachhaltige und Mehrwert-tragende Projekte.
In der stadtplanungsbezogenen Beteiligung lässt sich dieser Paradigmenwechsel „from Government to Governance“ idealtypisch anhand der beiden Modelle DEAD und Kooperatives Modell (ab S. 96) beschreiben.
§ 5 Changemanagement Prozess
In kaum einer Smart City-Strategie wird die Digitalisierung nicht als Prozess des Changemanagements für die eigene Verwaltung beschrieben. Die Umsetzung des damit eingeläuteten Kulturwandels gestaltet sich jedoch anspruchsvoll.
Auf der einen Seite versteht es sich von selbst, dass für die Etablierung einer neuen Arbeitskultur die Anpassung der Organisations- und Entscheidungsabläufe notwendig ist, aber diese wie in jeder Organisation im laufenden Tagesgeschäft geschehen muss. Einige strukturelle Voraussetzungen müssten dabei sicherlich weniger von der Smart City-Einheit einer Stadtverwaltung, als vielmehr vom Amt für Personal, IT und Organisation initiiert werden.

Wie lässt sich der Leitgedanke einer offenen Fehlerkultur vermitteln, wenn diese Experimentierfreudigkeit letzten Endes mit der Ausgabe von Steuergeldern einhergeht? Wie kann dabei vermieden werden, dass die Smart City-Einheit innerhalb der Verwaltung als bevorteilte Abteilung wahrgenommen wird und damit das positive Arbeitsklima erhalten bleibt? Ein Weg dieser Missgunst entgegenwirken zu können ist es die „Macht der Projekte“ zu nutzen. Gerade im Smart City-Kontext lassen sich über anwendungsorientierte und niederschwellig umgesetzte Projekte die Vorteile der Digitalisierung illustrieren und anfängliche Skeptiker:innen zu Mitwirkenden umstimmen.
Eine weitere Herausforderung für die Umsetzung von Changemanagement-Prozessen sind auch die mangelnden Kompetenzen in diesen neuen Themenfeldern. Um dem entgegenzuwirken, bietet sich zunächst die Zusammenarbeit mit Partnern an, die bspw. in der Vertragsgestaltung mit Lösungsanbietern bei datenbezogenen Anwendungen „richtig“ verhandeln können. Als Einstieg für solche Partnerschaften können kommunale Akteure mit interkommunalen Austauschen beginnen.
Auch die von IT-Unternehmen gelebte Agilität und Flexibilität lässt sich nur bedingt mit den Rechtsstaatsprinzipien des Rechtsvorrangs- und -vorbehalts vereinen, an denen sich die öffentliche Hand in ihrem Handeln orientieren muss. Durch die Schaffung von Reallaboren, die unter wissenschaftlicher Beobachtung stehen, können sich diese Rahmensetzungen z.T. flexibler gestalten. Auch hier bietet der „Sonderfall“ Smart City verstärkte Handlungsoptionen, weil über zusätzliche Mittel (Förderprogramme) eine erhöhte Handlungsfähigkeit für die Umsetzung der Smart City-Reallabore eingeleitet werden kann.
§ 6 Räume für Digitalisierung schaffen
In puncto Beteiligung beabsichtigen die meisten Strategien die Schaffung von Orten, an denen Digitalisierung für die Stadtgesellschaft erfahrbar gemacht werden soll. Im Unterschied zu bestehenden Institutionen in der Fläche wie Digitalhubs oder Mittelstand Digital-Kompetenzzentren mit einem Fokus auf digital und wirtschaftlich affine Zielgruppen, sollen diese Stadtlabore die allgemeine Stadtgesellschaft adressieren.
In ihnen können digitale Technologien wie Virtual- und Augmented Reality und additive Fertigung ausprobiert werden. Ähnlich zum Konzept der dezentralen Bürgerbüros oder des Quartiersmanagements können Bürger:innen auch hier Ideen für die Stadtentwicklung kundtun. Beispiele für solche digitalen Stadtlabore sind:
- Aachen: OecherLab
- Darmstadt: Digitales Stadtlabor
- Duisburg: Innovationcenter Smart City
- Haßfurt: Smart City Stadtlabor
- Potsdam: Potsdam Lab
Gleichzeitig fungieren diese Orte als eine Anlaufstelle für Bürger:innen, die sich von der Digitalisierung überrollt fühlen. In diesem Sinne kann in den digitalen Stadtlaboren das (lokale) Beratungs- und Bildungsangebot für Digitalkompetenzen vorgestellt werden. Dies bedeutet umgekehrt, dass diese Orte nicht für den umfangreichen Wissenstransfer oder den Aufbau von Kompetenzen in der Bevölkerung zuständig sind, sondern stattdessen eine Aufklärungs- und Lotsenfunktion vor Ort übernehmen.
Offen bleibt dabei bisher die Frage, wie sich derartige Stadtlabore flächendeckend umsetzen und nachhaltig bewirtschaften lassen. Ein denkbares Finanzierungsmodell wäre bspw. die Vermietung der dortigen „Aufmerksamkeit“ nach dem Retail-As-A-Service-Prinzip. Bei diesem Geschäftsmodell mieten Startups und Initiativen, die sich zu Beginn ihrer Tätigkeit keine eigene Ladeninfrastruktur leisten möchten und können, stattdessen kleine Auslageflächen in einem bestehendem Laden, um schnelles Feedback für die weitere Entwicklung zu erhalten.
Zudem könnte die Kommune, bedingt durch ihre Scharnierfunktion bei der Regulierung von Raum- und Flächennutzungen, an Immobilieneigentümer:innen und Investoren entsprechende Anreize zur Schaffung von digitalen Stadtlaboren setzen oder gar Bedingungen stellen und über Win-Win-Partnerschaften die Kosten teilweise auslagern.
→ Fortführung dieser Austauschrunde
Bedingt durch den Austauschbedarf zu strategischen Themen der kommunalen Digitalisierung wird diese Austauschrunde im monatlichen Rhythmus fortgeführt. Sie finden hier die Möglichkeit zur Anmeldung zur nächsten Ausgabe.

Nachweise
- ¹ Nuissl, H., Heinrichs, D., & Altrock, U. (Hrsg.). (2006). Zwischen Paradigma und heißer Luft: Der Begriff der Governance als Anregung für die räumliche Planung. In Sparsamer Staat—Schwache Stadt? (S. 51–72). Altrock.
- ² Holtkamp, L. (2007). In A. Benz, S. Lütz, U. Schimank, & G. Simonis (Hrsg.), Handbuch Governance: Theoretische Grundlagen und empirische Anwendungsfelder (1. Auflage, S. 366–377). VS, Verlag für Sozialwissenschaften.