Robert Heinecke ist der Gründer und Geschäftsführer von Breeze Technologies, einem Start-up, das sich auf Luftqualitätssensoren und
-datenanalysen spezialisiert hat. Seit der Gründung im Jahr 2015 hilft das zertifizierte Sozialunternehmen aus Hamburg Städten weltweit dabei, ihre Umgebung gesünder zu gestalten.
Vor Breeze Technologies arbeitete Robert Heinecke in verschiedenen internationalen Unternehmensberatungen und hat Abschlüsse in Informatik sowie IT Management & Consulting. Seine Arbeit wurde 2018 mit der Aufnahme in die „Forbes 30 Under 30“ Liste im Bereich Social Entrepreneurship anerkannt. Robert Heinecke engagiert sich als Klimapakt Botschafter der Europäischen Union und ist in beratender Funktion für den französischen Think Tank Urban AI tätig.
Sein Interesse an Luftqualität entstand durch persönliche Erfahrungen mit Luftverschmutzung in Istanbul. Er erkannte, dass vielen Städten umfassende Daten zur Luftqualität fehlen, was sowohl ein Gesundheitsrisiko als auch ein Hindernis für effektive Umweltschutzmaßnahmen darstellt.
Kürzlich verfasste Robert Heinecke einen Blogartikel mit Basiswissen über Luftqualitätssensoren und -management im Kontext von Smart Cities. Darauf aufbauend haben wir in einem Gespräch weiterführende Fragen an den Gründer und Experten gestellt.
1. Welche Smart-City-Projekte eignen sich aus Ihrer Sicht besonders gut dafür, Luftqualitätsprojekte anzustoßen?
Luftqualität ist ein wichtiges Thema für nahezu alle Smart-City-Projekte: Einmal, weil Luftqualität einen wesentlichen Einfluss auf die Lebensqualität und Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger einer Stadt hat, und zum anderen, weil viele Smart-City-Projekte das Potenzial haben, die städtische Luftqualität wesentlich zu verbessern. Gute Luftqualität ist schließlich das Resultat von guter Planung in Bereichen wie Mobilität, Städtebau, Umweltschutz und Industrie. Wenn dann mit Hilfe von Sensorik bereits die Voraussetzungen für die Überwachung der städtischen Luftqualität geschaffen wurden, lassen sich diese Erfolge – und damit die Mehrwerte der Smart City-Projekte für die Bevölkerung – auch transparent und nachvollziehbar darstellen.
Daneben sehen wir in vielen Kommunen, dass Bürgerinnen und Bürger Informationen zur kommunalen Luftqualität auch aktiv nachfragen und bereitgestellte Daten mit sehr großem Interesse annehmen. Deshalb kann die Installation von einer Hand voll Luftqualitätssensoren auch ein guter erster Schritt im Rahmen von Smart City-Implementierungen sein, um direkt Mehrwerte für die eigene Bevölkerung zu schaffen.
2. In Ihrem Artikel erklären Sie, dass bundesweit die ca. 450 Luftmessstationen der Landesämter dem gesetzlichen Auftrag zur Luftqualitätsüberwachung nachkommen. Warum braucht es zusätzliche Luftmessungen und welche Rolle spielen dabei Anbieter wie Breeze Technologies?
Die nächste Luftmessstation ist selbst in Großstädten oft mehrere Kilometer vom eigenen Wohnort entfernt. Die dort gesammelten Daten haben deshalb keine ausreichende Relevanz für den Großteil der Bürgerinnen und Bürger. In Klein- und Mittelstädten gibt es oft nicht einmal eine einzige Messstation.
In der 39. BImSchV ist die gesetzliche Pflicht zur Überwachung der Luftqualität festgeschrieben, die durch die Landesumweltämter umgesetzt wird. Städten und anderen Institutionen steht es aber darüber hinaus frei, eigene freiwillige Luftqualitätsmessungen umzusetzen. Sensorik für längerfristige Messungen und Trendanalysen und Passivsammler für Momentaufnahmen bieten hier die Möglichkeit, auch mit wenig finanziellen und Ressourcenaufwand das Thema Luftqualität in die eigene Hand zu nehmen. Je nach Ziel der Messungen müssen diese Daten dann auch nicht gerichtsfest sein, sondern können als Orientierung für die Stadtverwaltung und/oder Bevölkerung dienen.
3. Welche Rolle können Citizen-Science-Projekte mit Schulen, Bildungseinrichtungen und interessierten Bürger:innen für die städtische Luftqualitätsmessung und -management einnehmen?
Citizen-Science-Projekte sind ein toller Ansatz, wie Bürgerinnen und Bürgern Themen wie Luftqualität und Luftverschmutzung näher gebracht werden können. Auch hier kommt es aber auf die richtige Projektplanung an. Es muss klar sein, dass bei Sensoren im zweistelligen Euro-Bereich, die von Bürgerinnen und Bürgern selbst gekauft, zusammengebaut und aufgestellt werden, große Herausforderungen sowohl bei der Eignung der Messstandorte, als auch bei der technisch bedingten Messgenauigkeit bestehen. Sehr günstige Feinstaubsensoren erkennen zum Beispiel auch normalen Nebel als Feinstaub.
Eine Alternative hierzu sind Citizen-Science-Projekte, die mit semi-professionellen oder professionellen Messgeräten umgesetzt und von einem kompetenten Partner begleitet werden. Wir haben hierzu ein Konzept mit sogenannten „Sensor-Gastgebern“ entwickelt, bei dem sich Bürgerinnen und Bürger mit ihren Balkonen und Vorgärten bewerben können, einen kalibrierten Luftqualitätssensor bei sich aufzunehmen. Die Standorte und die verwendete Technologie werden dabei von uns qualitätsgesichert. So sind beide Seiten glücklich – die Bevölkerung über die Möglichkeit zur direkten Beteiligung, was am Ende auch „Luftqualitätschampions“ in den Nachbarschaften schafft, aber auch die Stadtverwaltung, dank zuverlässiger Luftqualitätsdaten. Das funktioniert übrigens auch an Schulen – so haben wir beispielsweise gemeinsam mit der Rüm-Hart-Stiftung ein Luftmessprojekt an 5 Hamburger Schulen umgesetzt.
4. Welche Betriebsmodelle und finanziellen Unterstützungsmöglichkeiten gibt es für Kommunen zur Implementierung von Luftqualitätsprojekten?
Grundsätzlich muss man sich als Kommune erst einmal fragen, welchen Anspruch man an die Luftqualitätsprojekte hat und welche eigenen Kompetenzen und Ressourcen man mitbringt. Der Anbietermarkt lässt sich zunächst einmal in Verkäufer von Messtechnik und Anbieter von Messdienstleistungen aufteilen. Wenn ich als Stadtverwaltung keine eigene luftmesstechnische Kompetenz mitbringe, ist Zweiteres vermutlich die bessere Wahl, da ich mich dann nicht mit Themen wie Kalibrierung und Datenqualitätssicherung auseinandersetzen muss. Wenn ich eigenes umweltwissenschaftliches Personal mit entsprechender Kompetenz habe, kann ich auch Messtechnik einkaufen und mich selbst um diese Themen kümmern.
Fördertechnisch gibt es unterschiedlichste Programme. Natürlich passt das Thema in alle Smart City-Förderungen, aber auch bei Themen wie Bürgerbeteiligung und Citizen Science, oder Mobilität – zum Beispiel mit dem mFUND – sind entsprechende Förderanträge denkbar.
5. Neben dem Betriebsmodell bewerten Kommunen die Umsetzungsmöglichkeit von Smart-City-Projekten anhand der Kriterien Datensouveränität, offene Schnittstellen, KI und Open Source. Wie gestalten sich diese typischerweise in Luftqualitätsprojekten mit Städten?
Auch hier gibt es natürlich unterschiedliche Modelle. Bei Low- und Mid-Cost-Sensoren sollte man aber zunächst verstehen, dass es einen Unterschied zwischen Maschinendaten und Rohdaten geben kann. Um Luftqualitätssensoren so simpel wie möglich zu halten, kann es Sinn machen, die Kalibrierung selbst nicht hardwareseitig, sondern softwareseitig, durchzuführen. Der Sensor selbst meldet dann nur interne Maschinendaten wie „8e2a“ an eine – oft in einer Cloud liegende – Kalibrierungssoftware, die aus der Summe der gemeldeten Werte echte Messwerte wie „32 µg/m3 NO2“ errechnet. Diese errechneten Messdaten sind dann die echten Rohdaten.
Der Sinn hinter dem Thema Datensouveränität ist schließlich die Austauschbarkeit der Lösungen bzw. die Vermeidung der Abhängigkeit von einem bestimmten Anbieter. Letztendlich liefern die am Markt befindlichen Anbieter den Städten schließlich Messdaten, wobei die interne Funktionalität und gegebenenfalls vorliegende Maschinendaten komplett unterschiedlich sein können.
Als Sozialunternehmen unterscheiden wir bei Breeze Technologies darüber hinaus auch zwischen Projekten, bei denen die Daten (teil-)veröffentlicht werden, und solchen, wo dies nicht geschieht. Bei einer Veröffentlichung der Messdaten geben wir einen Rabatt, da ein Teil unserer Mission die Demokratisierung von Luftqualitätsinformationen ist.
6. In der Stadt gibt es häufig auch andere Akteure wie Industrieunternehmen oder Anlagenbetreiber, die ihre eigenen Luftqualitätsdaten erheben. Auch Google Maps bietet mittlerweile einen Layer für Luftqualitätsdaten an. Wie kann vor dem Hintergrund dieser Initiativen ein gesamtstädtisches Luftqualitätsmanagement gelingen?
Als Stadt oder Gemeinde ist es wichtig, hier Handlungsfähigkeit und Deutungshoheit zu behalten. Sonst kann es im schlimmsten Fall passieren, dass Bürgerinnen und Bürger bei einem Drittanbieter wie Google schlechte Luftmessdaten für ihr Wohnumfeld sehen und darauf aufbauend Maßnahmen einfordern. Dazu kommt noch, dass diese Daten je nach Quelle auch sehr ungenau sein können. Sensoren von Open Source-Initiativen erkennen beispielsweise auch Nebel als Feinstaub, Satellitendaten liegen nur in Rastern von mehreren Quadratkilometern vor und über Wetter-Apps bereitgestellte Daten sind häufig interpoliert, ohne dass die Interpolationsalgorithmen offen liegen.
Deshalb sollten Städte hier, je nach Größe, mindestens eine oder mehrere eigene Messstellen anlegen, durch die Informationen über die generelle Luftqualität und auch die Entwicklung und Trends gesammelt werden können. Bei Anfragen von Seiten der Bevölkerung hat man dann auch Daten zur besseren Beurteilung in der Hand. Idealerweise greift man natürlich selbst vorher schon die Kommunikation auf und kann mit Hilfe der gesammelten Messdaten auch zeigen, welchen Erfolg die eigenen Klima- und Umweltschutzmaßnahmen bereits hatten.