Ralf Leufkes ist Geschäftsführer des Vereins Civitas Connect e. V., einer neutralen Kooperationsplattform für kommunale Unternehmen und Kommunen. Civitas Connect wurde im Juni 2020 mit dem Ziel gegründet, den Austausch und die Zusammenarbeit zwischen Städten, Kreisen und kommunalen Versorgungsunternehmen rund um die Digitalisierung kommunaler Infrastrukturen und Aufgaben zu fördern.
Im Mittelpunkt der Vereinsarbeit steht dabei stets die Suche nach und gemeinschaftliche Entwicklung von übertragbaren Lösungsbausteinen für die digitale Daseinsvorsorge, wo heute oft Individualentwicklungen und Insellösungen dominieren. Ein Kerngedanke, der sich durch die gesamte Tätigkeit des Vereins zieht, ist die Umsetzungsorientierung. Das heißt, dass durch praxisnahen Austausch und lösungsorientierte Projektarbeit Ressourcen und Kompetenzen gebündelt werden, um die Position der Mitglieder zu stärken und innovative Projekte voranzutreiben.
Ralf Leufkes Engagement für die digitale Entwicklung von Kommunen zeigt sich auch in seiner Rolle als Organisator des MÜNSTERHACK, einem Hackathon, der seit dem Jahr 2017 die Tech-Szene in Münster zusammenbringt, um innovative Ideen und Prototypen für eine lebenswertere Stadt zu entwickeln. Darüber hinaus teilt er als Autor sein Wissen in Veröffentlichungen, darunter ein Buch über die Einsatzmöglichkeiten von LoRaWAN in der Energiewirtschaft.
In diesem Interview sprechen wir mit Ralf Leufkes über die Kooperationsplattform Civitas Connect und die Hintergründe ihres Jahreskongresses, der am 29. August 2024 in Wuppertal zum zweiten Mal stattfinden wird.
1. In den vergangenen Jahren haben sich mehrere staatlich und privatwirtschaftlich organisierte Konferenz- und Tagungsformate in den Bereichen Smart Cities / Smart Regions etabliert. Warum sahen Sie letztes Jahr die Notwendigkeit, mit der CIVI/CON ein neues Veranstaltungsformat zu initiieren?
Was uns konkret von anderen Veranstaltungsformaten wie der Smart Country Convention, der Smart City World Expo oder anderen regionalen Events unterscheidet, ist der Fokus auf Digitalisierung als grundlegende Infrastrukturaufgabe und damit auch die Erweiterung der Perspektive auf den Gesamtkonzern Kommune, wozu neben der Kernverwaltung eben auch kommunale Unternehmen, Eigenbetriebe und weitere Ausgliederungen kommunaler Aufgabenbereiche zählen. Wir möchten mit der CIVI/CON einen Raum schaffen, in dem sich nicht nur die CEOs und Digitalisierungsbeauftragten der Kommunen versammeln, sondern Vertreterinnen und Vertreter von verschiedenen Stadtwerken, Kommunen und kommunalen Unternehmen sich auf Augenhöhe austauschen und voneinander lernen können.
Darüber hinaus legen wir mit unseren Angeboten großen Wert auf den Aspekt der Kooperation innerhalb einer Kommune. Dabei geht es vor allem um die Frage, wie sich das Thema innerhalb einer Kommune auch außerhalb von einzelnen Projektförderungen als langfristiges Querschnittsthema aufbauen lässt. Viele digitale Projekte scheitern meist nicht an der Technologie, sondern an mangelnder Abstimmung und Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Akteuren. Daher ist es unerlässlich, alle relevanten Akteure aus den kommunalen Unternehmen und Kommunen zusammenzubringen, um gemeinsam tragfähige Konzepte zu entwickeln, von denen alle profitieren.
Darin spiegelt sich dann auch unsere tägliche Arbeit im Verein und mit unseren Mitgliedern wider. Die CIVI/CON ist kein alleinstehender Kongress, sondern Spiegel unserer Arbeit und eine hervorragende Gelegenheit, den gemeinsamen Dialog in den Mittelpunkt zu setzen. Die CIVI/CON bietet eine Plattform, auf der strategische Partnerschaften und Netzwerke geknüpft werden können, die für eine erfolgreiche digitale Transformation unerlässlich sind.
Video-Rückblick Civitas Connect 2023
2. In Kommunen beschäftigen sich mittlerweile zahlreiche Mitarbeiter:innen mit digitalen Themen – die Bandbreite reicht von der Führungsetage bis hin zu Sachbearbeitung in einzelnen Fachabteilungen. An welche Zielgruppe richten Sie sich mit der CIVI/CON?
Unser Ziel ist es, einen integrativen Ansatz zu verfolgen, der alle relevanten Akteure zusammenbringt, um die digitale Daseinsvorsorge in Städten und Gemeinden gemeinsam voranzutreiben. Eine Vielfalt der Teilnehmerinnen und Teilnehmer ermöglicht einen umfassenden Austausch und fördert die Entwicklung von ganzheitlichen, nachhaltigeren Lösungen. Der inhaltliche Fokus der CIVI/CON ist daher bewusst breit angelegt, um möglichst vielfältige Entscheidungsebenen und thematische Aspekte zusammenzubringen. Dieser reicht von abstrakteren, strategischen Fragestellungen wie z. B. Ansätze kommunaler Kooperationen bei denen nachhaltige Digitalisierung der Daseinsvorsorge helfen können, bis hin zu konkreten, praxisnahen Anwendungsbeispielen in den Workshops und Vorträgen.
Gerade bei Digitalisierungsthemen ist es entscheidend, alle Ebenen, von der Führung bis zur Sachbearbeitung, hinter einer gemeinsamen, kohärenten Zielrichtung zu versammeln. Hierdurch können redundante oder widersprüchliche Projekte verhindert und Ressourcen effizient genutzt werden.
Das Spektrum spiegelt sich im Infrastrukturansatz unserer Projekte wider. Ich denke also, dass nicht nur fachliche und politische Entscheider:innen von Bund, Ländern und Kommunen einen Mehrwert aus dem Kongress ziehen können. Auch Projektverantwortliche, Fachmitarbeitende und Sachbearbeitende aus unterschiedlichen Fachbereichen – IT, Umwelt, Bauen, Stadtentwicklung, Bürgerservices, Geoämter etc. – werden auf ihre Kosten kommen, da wir immer wieder aufzeigen möchten, wie die Implementierung innovativer Lösungen hilft, den besonderen Anforderungen ihrer täglichen Arbeit gerecht zu werden.
3. Ein Blick auf das Programm der diesjährigen CIVI/CON verrät, dass urbane Datenplattformen und Anwendungsfälle zentrale Themenschwerpunkte bilden. Wie kam es dazu?
In Zeiten zunehmender Datenverfügbarkeit ist es für Städte und Kommunen essenziell, diese Daten sinnvoll zu nutzen. Wir beschäftigen uns daher seit Jahren mit dem Thema Datenplattformen als eine zentrale Infrastrukturkomponente in der Daseinsvorsorge. Daten über Plattformen zielgerichtet nutzbar zu machen, um damit Aufgaben der kommunalen Daseinsvorsorge zukunftsfähiger, effizienter und qualitativ hochwertiger zu gestalten, ist wohl ein zentrales Anliegen das aktuell von vielen Akteuren im Smart City Kosmos angegangen wird.
Datenplattformen bieten das Potenzial, zahlreiche Bereiche der Daseinsvorsorge zu optimieren, von Verkehrsmanagement über Energieeffizienz bis hin zur Umweltüberwachung. Sie bilden die Grundlage für innovative Smart City-Anwendungen, die das Leben der Bürgerinnen und Bürger verbessern können. Die Implementierung und Nutzung urbaner Datenplattformen ist jedoch auch mit Herausforderungen verbunden, wie Datenschutz, Datensicherheit und Interoperabilität.
Vor zwei Jahren haben einige Civitas Connect Mitglieder daher mit konzeptionellen Überlegungen gestartet: Es wurden Anforderungen gesammelt und eine Lösung am Markt gesucht, die den Anforderungen unserer Mitglieder entspricht. Wesentliche Anforderungen waren insbesondere die volle Souveränität über die Technologie und deren Entwicklung, eine einfache Nutzbarkeit, möglichst geringe Abhängigkeiten zu privaten Unternehmen sowie eine gesicherte langfristige Verfügbarkeit und Wartung.
Im Rahmen der Vereinsarbeit wurde schnell klar, dass sich einige Vereinsmitglieder eine eigene Softwareentwicklung wünschen, da die bislang am Markt verfügbaren Lösungen nicht alle diese Anforderungen erfüllen konnten. Deswegen wurde beschlossen, die Softwareentwicklung selbst in die Hand zu nehmen, d. h. passende Bausteine am Markt zu nutzen und sie zusammen zu einer ganzheitlichen Lösung zu machen, die für viele Jahre gewartet wird und nutzbar bleibt. Letzteres ist ganz im eigenen Interesse der Mitglieder, die die Lösung auch selbst produktiv nutzen möchten. Die Lösung soll auch nachnutzbar sein für weitere Kommunen und kommunale Unternehmen in Deutschland.
Seit diesem Jahr gibt es nun die erste Software, die aus einer Entwicklungsgemeinschaft entstanden ist und in den kommenden Jahren aus dieser heraus im Rahmen einer Community im Verein weiterentwickelt werden wird. Das passt auch zum Entwicklungsstand in den Kommunen und Stadtwerken, in denen die ersten Erfahrungen mit der Etablierung und Umsetzung von Anwendungsfällen auf Basis einer Datenplattform gemacht werden.
Indem wir urbane Datenplattformen und Anwendungsfällen einen Platz auf der CIVI/CON geben, möchten wir einen wertvollen Beitrag zur Weiterentwicklung und zum Austausch innerhalb der kommunalen Landschaft leisten und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer inspirieren, innovative Lösungen in ihren eigenen Städten und Gemeinden zu implementieren.
4. Ab Juni 2024 sind öffentliche Stellen in der EU dazu verpflichtet, sog. High Value Datasets als Open Data bereitzustellen. Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein?
Die Gesetzgebung auf EU- und Bundesebene beobachten wir natürlich genau. Abgesehen davon, dass Rechtsnormen wie die genannte HDV-Verordnung ein entscheidender Baustein sind, um kommerzielle wie auch nicht-kommerzielle Datenwertschöpfung zu ermöglichen, haben wir die Erfahrung gemacht, dass sie als Argumentationsbasis wichtig sind, um das, was wir und unsere Mitglieder machen, regulatorisch zu untermauern. Das betrifft insbesondere auch abstrakte Themen wie die Arbeit an Datenplattformen.
Nicht, dass es uns ansonsten an handfesten Argumenten fehlen würde – Stichwort: Prozesseffizienz, Verminderung des Personaleinsatzes, Qualitätssteigerung öffentlicher Dienstleistungen etc.
Wenn es aber um den ressourcenaufwendigen Auf- und Ausbau digitaler Basisinfrastrukturen geht, laufen wir mit solchen Argumenten allerdings ins Leere, wenn es nicht klare Anweisungen von oben gibt. Kommunen befassen sich ja – auch bedingt durch knappe Ressourcen – in der Regel prioritär mit den Aufgaben, die ihnen von gesetzgeberischer Seite vorgegeben werden bzw. auf denen regulatorischer Druck ausgeübt wird.
Ich würde an dieser Stelle allerdings nicht nur auf die Digitalgesetze im engeren Sinne verweisen, sondern betonen, dass es weitere regulatorische Rahmenbedingungen gibt, die einen systematischeren Umgang mit Daten für Städte unumgänglich machen. Als Beispiel zu nennen wäre die kommunale Wärmeplanung – Eine neue kommunale Planungsaufgabe, für die Daten aus unterschiedlichsten Quellen genutzt werden müssen und die hohe Anforderungen an Datenqualität, -sicherheit und -schutz mit sich bringt. Urbane Datenplattformen können in diesem Kontext wesentlich dazu beitragen, derartige Aufgaben langfristig effizienter zu lösen, ohne sich dabei in Abhängigkeitsverhältnisse von externen Dienstleistern zu begeben.
5. Wie geht es nach der CIVI/CON weiter – welche Möglichkeiten zur Kooperation und fachbezogenen Austausch bieten Sie abseits des Jahreskongresses?
Die CIVI/CON ist, wie erwähnt, kein alleinstehendes Konzept, sondern spiegelt unseren Alltag im Verein wider und versucht diesen in einem Tag zu kondensieren. Der fachbezogene Austausch, die Projektarbeit und Themenentwicklung mit unseren Mitgliedern finden aber das ganze Jahr über statt und hier sind alle Kommunen und kommunalen Unternehmen herzlich eingeladen, sich an der Arbeit zu beteiligen.
Im Rahmen der Vereinsarbeit bieten wir verschiedene Plattformen und Formate. Dazu zählen neben den Präsenztreffen insbesondere Online-Termine zu verschiedenen Themenschwerpunkten in denen Mitglieder oder auch Externe Ihre Lösungen und Erfahrungen vorstellen und Diskussionen ermöglicht werden. Aus einigen Themen entstehen dann Arbeitsgemeinschaften, die – wie es auch bei der CIVITAS/CORE-Community der Fall ist – Ressourcen und Know-How für die gemeinsame Arbeit und konkrete Entwicklungen bündeln.
Warum haben Sie die Notwendigkeit gesehen, CIVITAS/CORE zu entwickeln, wenngleich am Markt bereits mehrere urbane Datenplattformen existieren?
Es gibt zwar schon viele Lösungen am Markt, aber noch kein konsequent offenes Modell. Neben zentralen und entscheidenden funktionalen Anforderungen, wie beispielsweise gute und übergreifende Nutzeroberflächen, mit denen auch Fachmitarbeitende in die Lage versetzt werden, Datenmodelle zu erstellen und freizugeben, finden wir eine sehr heterogene Lösungs- und Dienstleisterlandschaft vor, die kaum Vergleichbarkeit, Austauschbarkeit und kommunale Steuerungshoheit bieten. Das führt dann auch zu dauerhaft hohen Preisen und Kosten für die Kommunen.
Das wollen wir ändern, indem wir konsequent Open Source und betreiberunabhängig denken. Dazu gehört auch, dass wir als Verein keine Dienstleistungen auf Basis oder mit der gemeinsamen Software anbieten, uns auf die Organisation der Kooperation konzentrieren und keine wirtschaftlichen Eigeninteressen einbringen. Die Softwarelösung muss von vielen Kommunen, kommunalen Unternehmen und Dienstleistern einfach nachgenutzt, betrieben und erweitert werden können. So entsteht mittelfristig auch ein großes Ökosystem von Dienstleistern mit einem vergleichbaren Produkt, auf das die Kommunalwirtschaft zurückgreifen kann, um nachhaltig und ökonomisch Geschwindigkeit bei der Umsetzung aufzunehmen.
Daneben arbeiten wir den Wissensstand zu verschiedenen Themen auch in internen Publikationen, Anleitungen und Leitfäden auf, die unsere Mitglieder dabei unterstützen einen Überblick über Themen und Anwendungsfälle zu erhalten. Vor kurzem sind wir mit einem regelmäßigen Newsletter gestartet, der für die Vereinsmitglieder einen übersichtlichen Abriss über die – mittlerweile doch recht breit gefächerten – Aktivitäten des Vereins liefert.
6. Wenn es einen Tipp gäbe, den Sie allen Kommunen und Stadtwerken in Sachen Digitalisierung geben könnten, welcher wäre es?
Mehr Mut Erfahrungen zu sammeln, diese mit anderen auszutauschen und Ressourcen zu bündeln.